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Was bringt eine Zuckersteuer?Maximal 25 Gramm Zucker am Tag empfiehlt die WHO. Ein Glas Cola hat bereits 27 Gramm. © shutterstock/Evan Lorne

Bittersüß: Zuckersteuer?

Was bringt eine Zuckersteuer? Der Geschäftsführer der Deutschen Diabetes Gesellschaft, Dr. Dietrich Garlichs, und Dr. Bernard Braun vom Zentrum für Sozialpolitik/SOCIUM der Universität Bremen sprechen über Vor- und Nachteile.

Herr Dr. Garlichs, Herr Dr. Braun, wäre eine Zuckersteuer in Deutschland Ihrer Meinung nach sinnvoll?

Dr. Garlichs: Ein kleines Beispiel: Diabetes, den wir in den fünfziger Jahren kaum kannten, ist inzwischen zu einer Volkskrankheit mit mehr als sechs Millionen Betroffenen geworden. Jedes Jahr kommen etwa 300.000 neue Diabetespatienten Typ 2 hinzu. Meiner Meinung nach brauchen wir in Deutschland dringend eine Zucker-, Fett- und Salzsteuer, um der Lawine von Übergewicht und anderen Zivilisationskrankheiten zu begegnen.

Dr. Braun: Da muss ich widersprechen. Als einzige Maßnahme, um die gesundheitlichen Folgen eines zu hohen Zuckerkonsums zu vermeiden, halte ich die Zuckersteuer nicht für sinnvoll. In meinen Augen ist sie ein weiteres Beispiel staatlichen Drückebergertums: Anstatt die Fülle an Möglichkeiten zu nutzen, um Anbieter zur Reduktion des Zuckeranteils von gesundheitsrelevanten Produkten zu zwingen oder zumindest ausreichende Transparenz herzustellen, wird der „schwarzen Peter“ dem Konsumenten und dessen Zahlungsbereitschaft zugeschoben.

Wie genau könnte eine Besteuerung zuckerhaltiger Lebensmittel aussehen?

Dr. Garlichs: Im Augenblick sind die meisten Lebensmittel mit sieben Prozent ermäßigt besteuert. Man könnte ungesunde Lebensmittel mit dem vollen Mehrwertsteuersatz von 19 Prozent belegen und als Ausgleich gesunde Lebensmittel vollkommen von der Mehrwertsteuer befreien. Es werden also nicht mehr Steuern erhoben, sondern die Mehrwertsteuer auf Lebensmittel lediglich umstrukturiert.

Dr. Braun: Eine Alternative wäre, aus dem durchschnittlichen Lebensmittelwarenkorb zu berechnen, mit welchen zuckerhaltigen Lebensmitteln die von der WHO empfohlene Grenze von 25 Gramm Zucker pro Tag überschritten wird. Diese Lebensmittel würden dann höher besteuert als andere. Angesichts der Tatsache, dass im Moment 250 Milliliter Cola bereits 27 Gramm Zucker enthalten, ist aber auch die Steuerungswirkung dieser Alternative zweifelhaft. Der Gesetzgeber könnte jedoch – wie bei anderen Inhaltsstoffen von Lebensmitteln auch – verpflichtende Höchstwerte für Zucker in allen oder viel konsumierten Produkten verordnen.

Welche Erfahrungen haben andere Länder mit einer Zuckersteuer gemacht?

Dr. Braun: In Frankreich, Mexiko oder Ungarn gibt es eine Zuckersteuer nur für bestimmte zuckerhaltige Lebensmittel wie Cola-Getränke. Auch Großbritannien erhebt seit dem 6. April 2018 eine neue Steuer auf stark gezuckerte Getränke. Es gibt daher keine gesicherten Erfahrungen über die erwarteten gesundheitlichen Wirkungen. Sollte es bei der Einzelmaßnahme Zuckersteuer bleiben, muss schon jetzt vor einer zu hohen Erwartung an deren Wirkung auf Fettleibigkeit und andere Leiden gewarnt werden.

Dr. Garlichs: In der kurzen Zeit, in der es in Dänemark eine Fettsteuer gab, ist nach einer Untersuchung der Universität Kopenhagen der Anteil an besonders fetthaltigen Lebensmitteln um rund 10 Prozent zurückgegangen. Ähnliche Erfahrungen macht zur Zeit Mexiko mit seiner neu eingeführten Steuer auf zuckerhaltige Getränke. Davon werden weniger gekauft, dafür aber mehr nichtgezuckerte Getränke. Aus der Anti-Raucherkampagne wissen wir, dass die wirkungsvollste Maßnahme die Tabaksteuererhöhungen war. Und nach der Steuer auf Alkopop-Getränke verschwanden diese praktisch vom Markt.

Wird eine mögliche Zuckersteuer durch die Lobby-Arbeit von Unternehmen oder Verbänden erschwert?

Dr. Braun: Natürlich gibt es jede Menge Lobbyarbeit. Dass es ausgesprochen subtile Gegenkampagnen gibt, welche die gesundheitlichen Folgen eines zu hohen Zuckerkonsums verharmlosen, ja sogar bestreiten, hat eine umfassende Studie aus dem Jahr 2013 gezeigt. 83 Prozent der Untersuchungen, die von Lebensmittelherstellern finanziert wurden, bestritten oder relativierten den Zusammenhang von zuckerhaltigen Limonaden und Gewichtszunahme erheblich.

Dr. Garlichs: Das sehe ich genauso: Die Lebensmittelindustrie versucht permanent, unseren hohen Zucker-, Fett- und Salzkonsum zu verharmlosen. Kernargument ist, dass es kein ungesundes Lebensmittel gäbe. Aber das ist gar nicht strittig, sondern es geht um die Ernährung insgesamt und die hat sich deutlich verschlechtert – vor allem durch den hohen Anteil industriell hergestellter Lebensmittel. Die Zeichen der Zeit erkennen aber mittlerweile selbst internationale Lebensmittelkonzerne wie McDonald’s. Im hauseigenen Intranet warnt das Unternehmen seine Mitarbeiter vor dem regelmäßigen Konsum von Fastfood.

Warum soll der Gesetzgeber überhaupt eingreifen? Kann man die Kaufentscheidung nicht dem Verbraucher überlassen?

Dr. Garlichs: Die Vergangenheit hat gezeigt, dass Information und Aufklärung allein als Strategie gescheitert sind. Das ist auch nicht erstaunlich, da die Werbeausgaben der Lebensmittelindustrie mehr als hundertmal so hoch sind, wie die Ausgaben der öffentlichen Gesundheitspolitik für gesunde Ernährung, und es folglich überhaupt keine „Waffengleichheit“ gibt.

Dr. Braun: Da haben Sie recht! Hinzu kommt, dass der Zuckeranteil in manchen Lebensmitteln wie etwa Ketchup so gut versteckt ist, dass sie nicht süß schmecken. Wer also den Verbraucher entscheiden lassen will, muss per Gesetz die Produzenten veranlassen, den Gesamtzuckeranteil so einfach und verständlich wie möglich erkennbar zu machen. Ähnlich wie neuerdings bei Zigaretten müssten die Hersteller auf die gesundheitlichen Risiken eines zu hohen Zuckerkonsums hinweisen.

Welche Alternativen zu Zucker gibt es? Wie kann eine zuckerreduzierte Ernährung aussehen? Hier finden Sie einige Tipps, wie Sie im Alltag auf raffinierten Zucker verzichten können. Neben einer zuckerreduzierten Ernährung ist Bewegung wichtig für die Gesundheit. Hier finden Sie einige Fitnessübungen, die Sie leicht zu Hause durchführen können.
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