
Auf Tauchstation
Wenn Daniel Klatt ins Wasser steigt, nimmt er meist Werkzeug und Videokamera mit. Sein Arbeitsalltag führt den Berufstaucher in havarierte Schiffe, enge Kraftwerksrohre und manchmal auch in die Kläranlage.
Wie viele andere Menschen trägt Daniel Klatt von TAUCHER HEROS aus Hamburg bei seiner Arbeit einen Anzug. Allerdings ist der aus Neopren. Sein Arbeitsplatz befindet sich auch nicht im gläsernen Bürotower eines Unternehmens, sondern meist viele Meter unter Wasser. Es ist ein Job, bei dem er mit schlechter Sicht, engen Räumen, gefährlichen Strömungen und anderen Herausforderungen zurechtkommen muss. Trotzdem fühlt er sich dabei wie ein Fisch im Wasser, denn das Tauchen ist seine Leidenschaft. „Routinearbeit gibt’s bei diesem Job nicht – und genau das mag ich“, sagt Berufstaucher Klatt. „Unter Wasser muss ich mich jeden Tag neuen Situationen stellen.“ Im Auftrag der Taucherfirma TAUCHER HEROS aus Hamburg reist er um die ganze Welt. In seinem Pass finden sich Stempel aus Europa, Mittelamerika, Asien und Afrika. Mit Urlaubsfeeling hat das Ganze aber wenig zu tun. Oft ist seine Arbeit körperlich sehr anstrengend und manchmal muss er auch stundenlang in der Druckkammer an Bord eines Schiffes ausharren, damit sich sein Körper nach langer Arbeit unter Wasser wieder an den Luftdruck an Land gewöhnt.
Kein Kindheitstraum
Die Leidenschaft fürs Tauchen hat den heute 32-Jährigen nicht bereits im Kindesalter gepackt, sondern erst bei der Bundeswehr. Aufgewachsen ist Daniel Klatt in Parchim, Mecklenburg-Vorpommern. Nach der Schule machte er eine Ausbildung zum Metallbauer und leistete dann seinen Wehrdienst auf einem Minenjagdboot der Marine. „An Bord waren auch ein paar Berufstaucher. Mit denen kam ich ins Gespräch und beschloss schließlich, selbst einer zu werden“, erklärt Klatt seinen Weg in den Neoprenanzug. Als er die Marine 2012 verließ, hatte er zwar einen militärischen Taucherschein in der Tasche, doch um daraus einen Beruf machen zu können, musste er erst noch eine zweijährige zivile Ausbildung bei der Firma TAUCHER HEROS dranhängen.
Statt Meer gibt’s Rohre
Viele Leute glauben, dass wir den ganzen Tag im Meer unterwegs sind und uns die Fische angucken, aber das ist falsch. Meistens sehe ich bei meiner Arbeit nicht mal die Hand vor Augen, weil es so dunkel ist.
Die meiste Zeit ist er nicht in irgendeinem Gewässer unterwegs, sondern in Gebäuden und Anlagen. Das sogenannte Bauwerkstauchen macht rund 80 Prozent seiner Arbeit aus. „Ich tauche oft in Kraftwerken und zwänge mich dort durch die Kühlwasserrohre“, berichtet Klatt. Weil ein Ablassen des Wassers für die Kraftwerksbetreiber zu teuer wäre, steigt er in das Rohrsystem, inspiziert es, birgt Fremdkörper und repariert defekte Bauteile. Manchmal haben die Rohre nur einen Durchmesser von knapp 80 Zentimetern – nicht viel Platz für einen ausgewachsenen Mann mit Druckluftflasche. „Im Grunde taucht es sich dort aber nicht viel anders als woanders“, meint Klatt und fügt hinzu: „Platzangst darf man als Berufstaucher sowieso nicht haben. Klaustrophobisch Veranlagte werden in den Tauchschulen früh aussortiert.“
Tauchen im Turm
Mitte März hatte Daniel Klatt an der Wahnbachtalsperre bei Köln zu tun. Zusammen mit seinem fünfköpfigen Team dichtete er dort drei Wochen lang kaputte Rohrleitungen ab. Diese befinden sich in zwei Einlaufbauwerken – turmartige Gebäude, die mitten in der Talsperre stehen und das Wasser für die Trinkwasseraufbereitung ansaugen. „Meine Kollegen und ich tauchen in die Türme rein und dann 50 Meter in die Tiefe“, erklärt Klatt. Mit großen Stahlmanschetten dichten die Berufstaucher die löchrigen Stellen ab. Dabei kommt auch eine Druckluftpresse zum Einsatz, die ihre Luft über einen Schlauch von oben bezieht. Getaucht wird immer einzeln, nie zu zweit. Der Grund dafür ist nicht technischer Art, sondern hat mit Vorschriften zu tun. Aus gesundheitlichen Gründen schreibt die Berufsgenossenschaft vor, dass ein Taucher bei einer Tiefe von 50 Metern nur eine halbe Stunde pro Tag arbeiten darf. Deshalb wechseln sich die Taucher bei der Unterwasserarbeit ab, wie Staffelläufer.
Worst Case
Nur dreißig Minuten Arbeit am Tag – das hört sich nach einem entspannten Beruf an. Doch die mühsame Tätigkeit ist nur etwas für Profis und Daniel Klatt setzt dabei täglich Leben und Gesundheit aufs Spiel. „Wenn mir dort unten etwas passiert oder ich aus irgendeinem Grund keine Luft mehr bekomme, kann ich nicht einfach mal eben an die Wasseroberfläche zurück“, sagt Klatt. Die Druckkammer, die oben auf der Staumauer steht, erinnert ihn täglich an die Gefahren seines Jobs. Sie kommt beim Worst-Case-Szenario zum Einsatz: Nach getaner Arbeit muss ein Taucher etappenweise an die Wasseroberfläche zurückkehren und dabei alle paar Meter für mehrere Minuten einen Zwischenstopp einlegen. Tut er dies nicht, kann er die sogenannte Taucherkrankheit bekommen. „Dabei bilden sich Stickstoffblasen im Blut, die das Gewebe nachhaltig schädigen können. Die Folge sind kurzfristige oder dauerhafte Schmerzen in den Gelenken, Lähmungen oder im schlimmsten Fall sogar der Tod“, erklärt Klatt. Hat ein Berufstaucher unter Wasser einen Unfall und muss deshalb schneller als geplant aufsteigen, wird er sofort geborgen und in die Druckkammer gebracht. Dort kann sich der Stickstoff aus dem Blut lösen und der Körper gewöhnt sich wieder an den Luftdruck an Land.

Über Funk ist das Team mit dem Taucher verbunden und verfolgt seine Arbeit per Videoübertragung am Monitor. © David Klammer
Von Schiffen und Leichen
Ab und zu ist Daniel Klatt auch im Hamburger Hafen unterwegs und schaut sich dort die Schiffe von unten an. „Wenn ein Schiff eine Kollision mit einer Schleuse hatte oder den Fahrwassergrund berührt hat, muss man es auf eventuelle Schäden untersuchen“, erzählt er. Manchmal befreit er die Schiffsrümpfe auch von Muscheln oder entfernt Seile, die sich in der Antriebsanlage verfangen haben. Immer dabei ist die Videokamera. „Wir filmen fast alle unsere Arbeiten, damit der Kunde nachher sehen kann, was wir gemacht haben“, berichtet Klatt. Auch für die Polizei waren er und seine Kollegen schon im Einsatz. „Mit unserem hochauflösenden Sonarsystem haben wir nach Leichen im Wasser gesucht – und auch gefunden.“
Unter hundert Tonnen Stahl
Spannend wird es auch, wenn er zu Schiffen gerufen wird, die durch einen Unfall manövrierunfähig geworden oder bereits halb gesunken sind. Die Taucharbeiten an solchen Havaristen sind besonders gefährlich, weil sie oft instabil sind und abrutschen können. „Da kriegt man schon ein mulmiges Gefühl, wenn man unter mehreren hundert Tonnen Stahl taucht und weiß, dass sie sich jeden Moment bewegen und einen einklemmen oder erdrücken können“, sagt Klatt. Sein Job ist es dann, Leckagen zuzuschweißen, auf Grund gelaufene Schiffe freizuspülen oder Schäden an der Ruderanlage zu reparieren. Mit Hilfe großer Hebesäcke, die an der Außenbordwand angebracht und dann mit Druckluft gefüllt werden, bringen er und seine Kollegen zudem gesunkene Schiffe wieder an die Wasseroberfläche. Im offenen Meer hat Daniel Klatt übrigens noch nie gearbeitet, seine Kollegen dagegen schon. In der Nordsee waren sie an der Verlegung von Unterwasserkabeln beteiligt, die den Strom von den Offshore-Windparks an Land bringen.
Den schlimmsten Job hat der,
der mich nachher saubermachen muss.
Auch in Kläranlagen sind Berufstaucher unterwegs. Ihre Aufgabe ist es, die Becken von Ablagerungen zu befreien, kaputte Teile auszutauschen oder die Faultürme, in denen der Klärschlamm aufbewahrt wird, von innen zu inspizieren. Für die Betreiber der Kläranlagen ist es günstiger und effizienter, einen Taucher einzustellen, als den kompletten Betrieb anzuhalten und den Beckeninhalt abzulassen.
Obwohl sich das Kloakentauchen nach dem schlimmsten Job der Welt anhört, nimmt’s Taucher Klatt gelassen: „Den schlimmsten Job hat eigentlich mein Team außerhalb des Beckens. Das muss nämlich den Gestank ertragen und mich nach der Arbeit mit sauberem Wasser abspritzen.“ Er selbst riecht nichts von dem Gestank, denn er trägt bei seiner Arbeit einen großen Helm und einen Spezialtaucheranzug aus robustem Gummi statt aus Neopren. Der Anzug ist im Inneren mit Luft gefüllt, wodurch auch bei kleinen Lecks kein Fremdmaterial eindringen kann.
So ausstaffiert macht es Daniel Klatt wenig aus, in einem Becken voll Kot oder Klärschlamm zu arbeiten und zwei Stunden lang mit einem Sauger den Grund von Ablagerungen zu befreien. „Ich bin ja gut geschützt und komme mit der Umgebung nicht in Kontakt“, meint er und fügt hinzu: „Verschimmeltes Essen im Kühlschrank ist ekliger.“

Taucht Daniel Klatt zu schnell auf, kann es zur Taucherkrankheit kommen. Dabei schädigen Stickstoffblasen im Blut das Gewebe. © David Klammer
Fast wie Fieber
Bei seinen Jobs in der Kläranlage macht dem Taucher vor allem die Dunkelheit zu schaffen. „In die Becken dringt kein Licht, ich bin also blind wie ein Maulwurf. Deshalb muss ich mich auf zwei Dinge verlassen: Meinen Tastsinn und die Baupläne, die ich mir vorher genau eingeprägt habe“, erklärt er. Immerhin ist er über Funk mit seinem Team verbunden. Das ist wichtig für die Psyche und außerdem kann er bei Bedarf technische Rückfragen an den Anlagenbetreiber stellen.
Noch schlimmer als Klärbecken sind die Faultürme. Aufgrund der Gärprozesse ist es dort nämlich sehr heiß. Die Durchschnittstemperatur liegt bei etwa 37 Grad Celsius, weshalb es bei längerem Aufenthalt in dieser Umgebung zu einer Überhitzung des Körpers kommen kann. „In so einem Faulturm fühlt es sich an, als ob man mit hohem Fieber durch ein Becken voll Honig taucht. Nebenbei muss man dann auch noch irgendwie arbeiten“, so Klatt. „Aber immerhin ist es dort im Winter schön warm.“
Bei uns in der Firma taucht kaum einer privat.
Der Job killt das Hobby.
Trotz der Strapazen und Gefahren lohnt sich der Job: Ein Berufstaucher verdient im Schnitt zwischen 3.500 und 6.000 Euro pro Monat. Liegt der Arbeitsort besonders tief unter Wasser oder im Ausland, gibt es außerdem noch Zulagen, sodass die Summe schon mal die 8.000-Euro-Marke knackt. In seiner Freizeit hält sich Daniel Klatt dann aber meist vom Wasser fern. „Bei uns in der Firma taucht kaum einer privat. Der Job killt quasi das Hobby. Man möchte dann auch einfach mal was anderes machen“, sagt er. Nur manchmal, wenn sein Weg ihn in die Karibik führt, steigt er auch außerhalb der Arbeitszeit mit dem Neoprenanzug ins Wasser und tut dann das, wozu er bei seinem Job praktisch nie Gelegenheit hat: Fische angucken.