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Selbstfürsorge sollte Alltag werden: Im Bild zu sehen ist Diplom-Psychologe Prof. Dr. Jörg Fengler. Er ist Spezialist für Burn-out und klärt im Interview über das Helfersyndrom auf.Prof. Dr. Jörg Fengler forscht seit mehr als vier Jahrzehnten in den Bereichen Selbstmanagement, Gruppenprozesse, Interventions- und Evaluationsmethodik sowie Suchtprävention. © David Klammer

Selbstfürsorge sollte Alltag werden

Verantwortung für andere zu übernehmen ist eigentlich vorbildlich. Manche Helfer vernachlässigen jedoch die eigenen Bedürfnisse. Das kann krank machen. Diplom-Psychologe Jörg Fengler über das Helfersyndrom.

Prof. Dr. Fengler, was ist ein Helfersyndrom?
Es bezeichnet die übertriebene Bereitschaft, anderen Menschen zu helfen und Verantwortung für etwas zu übernehmen, auch auf Kosten der eigenen Gesundheit. Das Helfersyndrom ist keine offizielle psychische Erkrankung gemäß ICD 10 F (ICD = International Statistical Classification of Diseases and Related Health Problems), sondern bezeichnet ein Persönlichkeitsmerkmal, das häufig in sozialen „helfenden“ Berufen anzutreffen ist.

Was treibt so einen Helfer an?
Übertriebenes Pflichtgefühl, Perfektionismus, die Suche nach Anerkennung. Andere wiederum helfen, um Kontakte zu knüpfen. Oft sind die Helfer auch selbstverliebt. Und dann gibt es natürlich auch Menschen, die nicht Nein sagen können. Jeder Fall ist unterschiedlich.

Was für Probleme können dadurch entstehen?
Das reicht von Gereiztheit, Kopfschmerzen und Konzentrationsproblemen, über Schlaf- und Angststörungen sowie körperliche Erkrankungen bis hin zum Verlust der Lebensfreude. Oft geraten die Betroffenen in einen Abwärtsstrudel: Sie intensivieren ihre Hilfsbemühungen, wollen es noch besser machen und erreichen damit das Gegenteil. Dann machen sie Fehler oder sie machen sich unbeliebt. Als Folge kann es zu einem Burn-out kommen.

 

Die richtige Balance zwischen Fürsorge und Selbstfürsorge
ist entscheidend.

Wie häufig ist das Helfersyndrom?
Es gibt leider keine validen Zahlen dazu. In der öffentlichen Wahrnehmung wird man häufig noch belächelt, wenn man über das Helfersyndrom spricht.

Gibt es Menschen, die dafür anfälliger sind als andere?
Es gibt keine bestimmten Typen, eher Verhaltensweisen und Persönlichkeitsmuster. Kindheitserfahrungen spielen in diesem Zusammenhang eine wichtige Rolle. Die Betroffenen hängen oft in starren Mustern fest. Beispielsweise sind sie davon überzeugt, dass sie nur geliebt werden, wenn sie allen helfen.

Kann man zwischen beruflichen und privaten Fällen unterscheiden?
Ja, im beruflichen Kontext sind es häufig Menschen in Heil- oder Pflegeberufen, beispielsweise bei der Arbeit mit Suchtpatienten. In der freien Wirtschaft begegnen mir immer wieder Führungskräfte, die keine Tätigkeit abgeben können, sowie überloyale Arbeitnehmer, die sich kaputtschuften. Auf der anderen Seite habe ich auch viel mit pflegenden Angehörigen sowie Partnern von psychisch Kranken oder traumatisierten Menschen zu tun. Für Berufstätige gibt es das Arbeitsschutzgesetz, das vorbeugen soll. Im Privatleben hingegen schleichen sich Fehlentwicklungen oft ein, weil keine Grenzen gesetzt werden.

Die Abbildung zeigt das Salamander-Modell der Burn-Out-Prävention.
Das Salamander-Modell der Burn-out-Prävention. Das Salamander-Modell zeigt, dass Stress auf sieben Ebenen entstehen kann (linke Seite). Demgegenüber stehen sieben Präventionsebenen, um einem Burn-out vorzubeugen (rechte Seite). Der Einzelne kann versuchen, auf diesen sieben Ebenen Einfluss zu nehmen, was sich positiv auswirken kann. 








Was macht das mit den Menschen, denen geholfen wird?
Ein solches Übermaß an Aufmerksamkeit und Hilfe kann zunächst ganz angenehm sein. Ich erlebe es aber immer wieder, dass es sich die Hilfsbedürftigen bequem machen und bedient werden wollen. Hier können sich die Rollen dann schnell umkehren: Der eigentlich starke Helfer ist überlastet und wird schwach, der Hilfsbedürftige wird durch seine demonstrative Schwäche stark und dominant. Manch einer nutzt die Situation auch aus und manipuliert den Helfer.

Was hilft den Helfern?
Die richtige Balance zwischen Fürsorge und Selbstfürsorge ist entscheidend. Selbstfürsorge sollte Alltag werden. Etwa, indem man private Termine so ernst nimmt wie berufliche. Viele Helfer müssen aber erst lernen, Nein zu sagen. Das lässt sich beispielsweise in einem Coaching trainieren. Betroffene sollten Warnsignale von Körper und Geist ernst nehmen und sich an der „Salamander-Grafik“ orientieren. Und sie sollten sich Angehörigen und Kollegen gegenüber öffnen und ihnen sagen, dass etwas aus dem Ruder läuft. Das Umfeld sollte aber nicht gleich Ratschläge erteilen, sondern erst einmal zuhören und den Rücken stärken. Auch Vorgesetzte, Team, Firma und Gesellschaft können zur Prävention beitragen.

Für viele ist das leichter gesagt als getan.
Dann sollten sie Rahmenbedingungen schaffen, um über unangenehme Themen sprechen und diese anpacken zu können.

Wie lässt sich das realisieren?
Zwei Regeln finde ich hier hilfreich: Bei der VW-Regel geht es darum, Vorwürfe in Wünsche zu verwandeln. Machen Sie Ihrem Gegenüber keine Vorwürfe, sondern bleiben Sie konstruktiv. Zeigen Sie, wie sie gemeinsame Arbeitsvorgänge besser gestalten können.

Bei der Störungsregel geht es darum, Irritationen immer sofort anzusprechen. Sonst verschleppt man ein Problem nur und macht es unnötig groß.

An wen können sich Betroffene noch wenden?
Bei Familienberatungsstellen haben Sie oft kürzere Wartezeiten als bei Psychotherapeuten. Es gibt außerdem Online-Foren, in denen sich Betroffene austauschen können. Unter Umständen hilft ihnen am Ende aber doch nur eine Therapie.

Meditation und Entspannungsübungen sorgen für Gelassenheit und helfen beim Stressabbau. Wir haben die beliebtesten Achtsamkeits-Apps getestet. Hier der Vergleich.
ZUR PERSON Prof. Dr. Jörg Fengler, 75, Diplom-Psychologe, ist emeritierter Professor an der Universität Köln, Trainer für Gruppendynamik, Psychotherapeut und Leiter des Fengler-Instituts für Angewandte Psychologie. Seit mehr als vier Jahrzehnten forscht er in den Bereichen Selbstmanagement, Gruppenprozesse, Interventions- und Evaluationsmethodik sowie Suchtprävention. Er ist Autor zahlreicher Bücher und wissenschaftlicher Artikel. Mehr Informationen unter: www.Fengler-Institut.de
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