
Ermin Bičakčić: „Mit Sport lässt sich viel erreichen“
Ermin Bičakčić von der TSG 1899 Hoffenheim hat sich vom Kriegsflüchtling zum Fußballprofi hochgearbeitet. Ein Gespräch über Fußball und die wirklich wichtigen Dinge im Leben.
Ermin, zurzeit dreht sich alles um die Fußball-EM in Frankreich. Bei der Weltmeisterschaft 2014 in Brasilien warst du mit der bosnischen Nationalmannschaft dabei. Was war das für eine Erfahrung?
Das war der Wahnsinn! Ich kann es nicht in Worte fassen. Ein historischer und großartiger Moment für unser ganzes Land. Ich habe aus dieser Zeit viel mitgenommen, menschlich, aber auch fußballerisch. Beim Spiel gegen Argentinien hatte ich es ja mit Lionel Messi, Angel di Maria und Sergio Agüero zu tun. Da hatte ich gut zu tun. Schade, dass es diesmal zur EM nicht gereicht hat. Die Relegation gegen Irland war eine ganz enge Kiste. Aber wir versuchen es zur nächsten Weltmeisterschaft wieder.
Wie motivierst du dich denn vor wichtigen Spielen?
Das ist in erster Linie Kopfsache. Ich bin privat ein lockerer Typ, aber bei der Arbeit bin ich ein ganz anderer Mensch. Da bekomme ich einen Tunnelblick und nehme nichts anderes mehr wahr. Vor dem Spiel bin ich total fokussiert, Musik hilft mir dabei. Dennoch sollte man nicht verkrampfen, eine gewisse Lockerheit hilft – vor allem im Abstiegskampf. Nach dem Spiel gehe ich dann noch eine ganze Weile das Match im Kopf durch.
Du hast trotz deines jungen Alters von 26 Jahren schon einiges erlebt. Hat sich dein Leben stark verändert, seitdem du Fußballprofi bist?
Nach außen hin schon: Ich stehe natürlich mehr im Fokus der Öffentlichkeit und der Medien. Aber ich weiß, wo ich herkomme. Das hält mich auf dem Boden. Meine Freunde und Familie sind für mich nach wie vor das Wichtigste. Aber meine Fußballkarriere bietet mir Perspektiven, die ich sonst vielleicht nicht gehabt hätte.
Als Kind mussten du und deine Familie vor dem Krieg im ehemaligen Jugoslawien fliehen. Die aktuelle Flüchtlingsproblematik lässt dich deshalb sicher nicht kalt, oder?
Auf keinen Fall, wir waren ebenso Kriegsflüchtlinge wie diese Menschen heute. Wir mussten bei null anfangen, wir hatten ja alles verloren. Wir sollten diesen Menschen helfen, so gut, wie es geht, und ihnen ein Gefühl von Sicherheit geben. Meine Biographie ist ein gutes Beispiel, wie Integration gelingen kann. Diese Erfahrung möchte ich teilen.
Du möchtest die Stiftung „Die Gesundarbeiter – Zukunftsverantwortung Gesundheit“ künftig unterstützen – warum?
Meine Kindheit war natürlich durch die Flucht aus Bosnien nicht immer ganz einfach, aber dennoch sehr schön. Auch wenn wir nicht viel hatten, die Unterstützung meiner Eltern und meiner Familie war immer da. Ich hatte viel Glück, der Fußball hat mir und meiner Familie viel ermöglicht. Davon möchte ich etwas zurückgeben und deshalb unterstütze ich die Stiftung und natürlich Kinder und Jugendliche gerne. Als Leistungssportler weiß ich, wie wichtig regelmäßige Bewegung und eine gesunde Lebensweise sind. Mit Sport kann man viel erreichen. Wir sollten das den Kids vermitteln und vorleben.
Planst du eigentlich schon für die Zeit nach der Karriere?
Ich habe noch einige Jahre vor mir, ich bin im besten Fußballalter. Speziell die letzten beiden Jahre waren mit der WM und dem Wechsel zur TSG 1899 Hoffenheim für mich ein großer Schritt nach vorne. Aber damit möchte ich mich noch nicht zufrieden geben. Klar ist aber auch, dass irgendwann die Karriere vorbei ist. Sicher habe ich Visionen und Pläne für danach, aber jetzt gilt erst einmal noch der volle Fokus meiner Karriere.
Eine letzte Frage: Woher kommt eigentlich dein Spitzname „Eisen-Ermin“?
Der Spitzname stammt aus meiner Zeit bei Eintracht Braunschweig. Das kommt von meiner Spielweise – ich spiele hart, aber fair. Zuerst musste ich etwas darüber schmunzeln. Meine Vorbilder sind ja Muhammad Ali und Mike Tyson. Ich bin auch ein Typ, der gelernt hat, sich durchzuboxen – insofern kann ich mit „Eisen-Ermin“ gut leben.
Die Stiftung „Die Gesundarbeiter“ setzt sich für eine gesunde Gesellschaft ein – Kinder und Jugendliche stehen dabei im Fokus. Mehr Informationen unter: www.stiftung-gesundarbeiter.de
Auch Sascha Lima hat sich nicht unterkriegen lassen. Seit einem Fahrradunfall sitzt er im Rollstuhl, ist aber dennoch sportlich aktiv. Seine Geschichte lesen Sie hier.