
„Neugier macht das Leben reicher“
Der Mann im grünen Pulli: In der Sendung mit der Maus hat Christoph Biemann am Ende auf jede Frage eine Antwort. In unserem Interview auch?
Seit 50 Jahren erklärt die Sendung mit der Maus, wie die Welt funktioniert. Was ist das Erfolgsrezept?
Wir versuchen Dinge so zu erklären, dass sie jeder versteht. Ob Kinder und Erwachsene die Welt danach besser verstehen, das weiß ich nicht. Aber wir geben unser Bestes. Was der Sendung zum Erfolg geholfen hat, ist unsere Art, Dinge einfach zu erklären. Die Maus ist auch deswegen so langlebig, weil sie sich mit verändert hat. Sie hat sich immer an den Interessen der Zuschauerinnen und Zuschauern orientiert, wo die spannendsten Geschichten sind. Wahrscheinlich schauen deswegen heute viele Eltern die Maus gemeinsam mit ihren Kindern, so wie sie das früher mit ihren Eltern getan haben.
Wie nähern Sie sich in der Sendung mit der Maus einem Thema an und bereiten es auf?
Viele Fragen kommen per Mail und Post von den Kindern, manchmal greifen wir auch selbst Sachen auf. Dann recherchieren wir, ob es eine Geschichte wird. Wir fragen uns, ob man das Thema so erklären kann, dass es Kinder verstehen. Kann man es in einer Sachgeschichte von fünf bis sieben Minuten erzählen? Wenn das nicht geht, kann es auch mal länger werden. Wichtig ist natürlich herauszufinden, welche Bilder man zeigt oder ob man Experimente oder Modelle machen kann. Der ganze Prozess dauert in der Regel ein bis zwei Monate, wir haben aber auch schon Geschichten gemacht, an denen wir mehrere Jahre gearbeitet haben. Dass wir uns dafür Zeit nehmen können, ist wichtig – und heutzutage leider nicht mehr selbstverständlich.
Wer ist Ihr Liebling: Maus, Elefant oder Ente?
Das werde ich oft gefragt. Die Maus gilt eher als allwissend und vernünftig, die Ente ist immer ein bisschen frech. Emotional am nächsten ist mir der Elefant, weil er so kindlich und lieb ist. Aber ich mag alle drei.

© WDR/Trickstudio Lutterbeck
Was zeichnet die Erzählweise der Maus aus?
Vor 50 Jahren waren die ersten Filme noch ohne Text und nur mit Bildern, der Sprechertext kam erst etwas später dazu. Das Bild ist uns auch heute wichtig. Pädagogen reden von Anschaulichkeit – und der Begriff „Schauen“ trifft es ganz gut. Jedes Bild in einer Sachgeschichte muss auch eine Geschichte erzählen. Wenn wir recherchieren, suchen wir also immer nach den passenden Bildern – das hilft oft beim Verstehen und macht das Erklären später viel leichter. Die Sprache der Maus hat viele Preise gewonnen. Uns ist es wichtig, dass die Sprechertexte nicht allzu glatt sind, auch mal überraschen. Und sie müssen zusammen mit dem Bild funktionieren. Das klappt manchmal leichter, manchmal müssen wir da auch länger überlegen.
Nur wenn man für Neugier belohnt wird, lernt man Neues. Und das macht das Leben reicher.
Haben sich das Lernen von Kindern und ihre Fragen in den vergangenen 50 Jahren verändert?
Ja, die Fragen haben sich verändert. Das ging parallel dazu, wie sich die Welt und die Wahrnehmung verändert hat. Früher haben wir erzählt, wie Dinge hergestellt werden – das tun wir immer noch – aber was zum Beispiel mit Dingen passiert, die nicht mehr gebraucht werden, hat vor 50 Jahren niemanden interessiert. Jetzt sind Zukunftsfragen interessanter. Das hat auch damit zu tun, dass viele Herstellungsprozesse für Filmemacher uninteressant geworden sind. Die Handyproduktion ist beispielsweise nicht sehr sinnlich. Aber es ist interessant zu erfahren, woher das Handy weiß, wo ich gerade bin oder welche App ich mit dem Finger angetippt habe.
Für Ihren Job brauchen Sie eine Neugier, die nie endet. Wie erhält man sich das als Erwachsener?
Kinder sind von Natur aus neugierig und wissbegierig. Ich war als Kind ein ganz schlimmer Fall, wenn Freunde mich zu Besuch hatten. Danach haben deren Eltern sich beschwert, weil ich immer alles wissen wollte. Leider wird diese Wissbegierde Kindern abtrainiert. Oft sagt man: „Ah das weißt du nicht, dann bist du ja dumm“. Das demotiviert. Ich dagegen bin durch meinen Beruf immer wieder für meine Neugier belohnt worden. Und das wünsche ich anderen Menschen auch! Nur, wenn man für Neugier belohnt wird, lernt man Neues. Und das macht das Leben reicher.

Christoph Biemann war schon als Kind sehr wissbegierig – und ist es bis heute geblieben. © WDR/Axel Berger
Gibt es in der Sendung bestimmte Stilmittel, beispielsweise Komik? Hat jeder Moderator seinen eigenen Stil?
Das haben wir nicht festgelegt, hat sich aber so ergeben. Armin ist der Wissende, Ralph der Besserwissende (lacht), ich bin der Unwissende, der davon ausgeht, dass er am Anfang der Geschichte nichts weiß und sich ein bisschen dumm stellt. Am Schluss bekomme ich es aber doch raus und es gibt ein Happy End.
Erinnern Sie sich an Fragen, die Sie nicht beantworten konnten?
Jede Menge: Wo wohnt Gott? Warum spucken Fußballer? Die Fußballerfrage haben wir recherchiert. Es wäre eine schöne Geschichte gewesen, wenn es einen Hintergrund geben würde, aber die machen das eben einfach so. Es ist keine Geschichte für die Maus, wenn es keinen nennenswerten Grund gibt, wie: „Sportler verbrauchen besonders viel Spucke“.
Die Welt wird immer komplexer: Was hilft, den Überblick zu bewahren?
Ich lese regelmäßig Zeitung und bin im Internet. Mein Büro ist ein Verdauungsorgan für Informationen. Der geringste Teil meiner Recherche ist für die Sendung mit der Maus verwertbar, aber ich schaue mich immer um, was in der Welt passiert und wo Probleme sind. Nicht alles kann man den Kindern erzählen, aber wie der Zeitgeist tickt, wissen wir schon.
Stichwort „Fake News“: Welche Rolle schreiben Sie heutzutage der Medienkompetenz von Kindern zu?
Kinder müssen sehen, was richtig ist und dass man auch kritisch sein muss. Wir haben bei der Maus auch schon Filme gemacht, wie man Fotos bearbeiten kann oder wie Filmtricks funktionieren. Damit regen wir an, nicht immer alles zu glauben, was man sieht und hört. Medienkompetenz ist für die Maus eines der Themen, die wir über konkrete Geschichten aus dem Alltag vermitteln. Es ist aber wichtig und auch Aufgabe der Eltern zu schauen, in welchen Blasen sich die Kinder befinden. Das betrifft vor allem die etwas älteren Kinder, die nicht mehr primär Zielgruppe der Sendung sind.
Muss sich hier noch mehr tun, wie ein Schulfach über Medienbildung?
Etwas ändern muss sich auf jeden Fall. Ob es ein Schulfach sein muss, weiß ich nicht, aber es sollte in der Schule darauf eingegangen werden. Wie man mit Medien, Computer und Internet umgeht, ist ein Teil dessen. Wer erzählt was, wer bringt welche Nachrichten? Wie funktionieren Algorithmen in sozialen Netzwerken bei denen man nur ausgespielt bekommt, was man hören will? Es ist im Leben nicht hilfreich, wenn einem Freunde, Eltern und Bekannte immer nur sagen: „Du bist toll und hast gute Ideen…“ Defizite zu verschweigen, hilft keinem. Es wäre wichtig und hilfreich, dies auch Kindern als Internetusern nahe zu bringen.
Wenn man etwas erklären will, egal was, muss man es selbst gut verstehen, sich reinarbeiten und Zusammenhänge kennenlernen.“
Was können Eltern tun, um Ihren Kindern zu helfen, sich im Informationsdschungel zurecht zu finden?
Wenn man etwas erklären will, egal was, muss man es selbst gut verstehen, sich reinarbeiten und Zusammenhänge kennenlernen. Das ist auch anstrengend! Man muss es so gut kennen und wissen, dass man es runterbrechen und erklären kann. Wir wissen ja, dass viele Erwachsene uns schauen und freuen uns auch darüber. Viele sagen, das helfe, den Kindern etwas zu erklären. Wenn Erwachsene keine Antwort haben, tun sie oft so, als ob ihre Kinder die Frage an die Maus schreiben würden. Dabei haben sie selbst die Frage weitergeben. Das merkt man der Fragestellung dann aber meist doch an (lacht).

Christoph Biemann (69) hat sich die Neugier erhalten. In der Sendung mit der Maus geht er seit 38 Jahren den großen und kleinen Fragen der Kinder auf den Grund. © WDR/Max Kohr
Hat man irgendwann das Gefühl, alles gesehen und „ausgelernt“ zu haben?
Nein, das garantiert nicht. Was ich im Berufsleben mitbekomme und erfahre, ist unendlich. Es gibt immer etwas Neues. Bei der Maus versuchen wir stets, die Sachgeschichten aus einem neuen Dreh zu erzählen, sodass es lustig und spannend ist. Das macht meine Arbeit total interessant, herausfordernd und macht großen Spaß.
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