
„Bienen sind ein Superorganismus“ – Interview mit Dr. Peter Rosenkranz
Ein Bienenvolk ist eine ganz besondere Familienkonstellation: eine Mutter, rund 30.000 Schwestern und einige hundert Brüder auf engstem Raum. Und das wahrscheinlich ohne Streit. Probleme bereiten den fleißigen Tierchen eher wir Menschen.
Herr Dr. Rosenkranz, in den Medien liest man immer öfter vom „Bienensterben“. Wie groß ist die Gefahr wirklich?
Dieses Thema wird oft sehr undifferenziert diskutiert. Das Wort Biene ist ein Sammelbegriff für rund 570 Arten in Deutschland, weltweit gibt es 20.000 unterschiedliche Arten. Meistens meinen wir, wenn wir von Bienen sprechen, aber die Honigbienen. Die werden bei uns zu 97 Prozent von Imkern betreut, nur wenige sind wildlebende Bienen. Solange es Imker gibt, wird es auch Honigbienen geben.
 Also gibt es kein Bienensterben?
Die Honigbiene selbst ist nicht vom Aussterben bedroht, einige Wildbienenarten dagegen schon. Dennoch haben die Imker mit Problemen zu kämpfen: Für Bienen wird es durch versiegelte Flächen, Anbau von Monokulturen oder weniger Blütenvielfalt immer schwieriger, an Nahrung zu kommen. Unsere Landschaft hat sich in den letzten Jahrzehnten stark verändert, und das macht Honigbienen und Insekten allgemein das Leben nicht leichter. Deshalb nimmt die Zahl der Insekten insgesamt ab. Wenn, dann kann man von einem Insektensterben sprechen.

Weil die Zahl der Insekten zurückgeht, spielt die Honigbiene eine immer wichtigere Rolle. ©
Dr. Bettina Ziegelmann
Welche Rolle spielen die Honigbienen für die Landwirtschaft?
Die Bedeutung der Bestäubung für die Landwirtschaft wird oft unterschätzt. Beispielsweise sind Obst und Gemüse komplett von der Bestäubung abhängig. Allerdings sind Honigbienen nicht die einzigen Bestäuber, es gibt noch weitere, wie Wildbienen, Schwebfliegen oder, grob gesagt, alle Insekten, die Blüten besuchen. Weil die Zahl der Insekten zurückgeht, spielt die Honigbiene eine immer wichtigere Rolle. Auch, weil man beispielsweise gezielt Bienenvölker an Feldern platzieren kann, um den Ertrag zu steigern.
Vor welchen Herausforderungen steht die Landwirtschaft im Moment?
Sie befindet sich zunehmend im globalen Wettbewerb und muss eine hohe Qualität liefern, weil die Verbraucher sehr wählerisch sind. Daher nimmt die Industrialisierung zu und kleine Betriebe können immer öfter nicht mithalten. Zum Glück wächst in unserer Gesellschaft das Bewusstsein für gute Lebensmittel und hohe Qualität, aber viele sind noch nicht bereit, dafür auch entsprechende Preise zu zahlen. Aktuell geben wir im Schnitt gerade mal zwölf Prozent unseres Einkommens für Lebensmittel aus, das ist zu wenig.
Wie sind Sie zur Bienenforschung gekommen?
Als ich Biologie studiert habe, wurde die Varroamilbe aus Asien nach Deutschland eingeschleppt und hat die Imker vor große Probleme gestellt. Diese parasitäre Milbe befällt die Bienenvölker, führt zu Missbildungen und letztlich zum Tod des ganzen Volkes. An meinem Lehrstuhl gab es ein großes Interesse, dieses Thema zu bearbeiten, und so bin ich in der Bienenforschung geblieben. Bienenvölker sind ein sogenannter Superorganismus, bestehend aus vielen tausend Einzelindividuen, der mich bis heute fasziniert. Wir verstehen erst einen Bruchteil davon, wie sich so ein Volk mit 30.000 Tieren organisiert.
Was können wir von den Bienen lernen?
Das Sozialverhalten der Bienen ist beeindruckend. Während wir als Menschen großen Wert auf unsere Individualität legen, ist im Bienenvolk das einzelne Tier unbedeutend. Es gibt fast keine hierarchischen Strukturen, es ist eher sogar demokratisch. Das Volk funktioniert als ein Organismus, man kann hier von Schwarmintelligenz sprechen. Es ist faszinierend, dass sich ein Bienenvolk innerhalb von Minuten auf neue Bedingungen einstellen kann. Denken Sie mal an ein Unternehmen mit 30.000 Mitarbeitern, wie lang das dort dauern würde.
Wenn ich Insekten und Bienen etwas Gutes tun möchte, welche Möglichkeiten habe ich?
Sie können beispielsweise mithelfen, dass die Landwirte weniger unter Druck stehen. Es muss nicht immer gleich Bio oder Öko sein, aber es ist gut, wenn man auf regionale Produkte beim Einkauf achtet. Vielleicht auch mal in einem Hofladen oder auf dem Markt einkaufen und damit die kleinen Betriebe unterstützen. Man kann sich auch kommunalpolitisch einsetzen, dass beispielsweise Grünflächen in der Gemeinde nicht mehr so oft gemäht werden oder Laub auch mal liegen bleibt. Solche Unordnung hilft den Insekten. Und im eigenen Garten oder auf dem Balkon kann man Blütenpflanzen anbieten und den Wildbienen Nistmöglichkeiten bieten.
Welche Tipps haben Sie, wenn ich selbst Bienen halten möchte?
Vorab sollten Sie sich gut überlegen, ob Sie das auf sich nehmen. Imkern bringt mehr Arbeit mit sich, als man vielleicht denkt. Im Sommer muss man sich regelmäßig um seine Völker kümmern, ein langer Sommerurlaub ist da ohne eine Vertretung nicht drin. Auf jeden Fall sollte man einen Imkerkurs besuchen, den die meisten Imkerverbände regelmäßig anbieten.
Kann ich die Bienen nicht auch sich selbst überlassen?
Die Meinung, je weniger der Imker tut, desto besser sei das für die Bienen, ist Unsinn und ethisch nicht vertretbar. Das Bienenvolk wird ohne Eingriff durch den Imker sehr wahrscheinlich am Befall mit der Varroamilbe sterben. Außerdem ist es dann für Bienenvölker in der Nachbarschaft eine Gefahr, da diese sich ebenfalls infizieren können. Als Imker ist man ein Tierhalter und damit zur Pflege verpflichtet. Einen Hund würden Sie auch nicht sich selbst überlassen. Man sollte also etwas Zeit und Leidenschaft mitbringen, dann ist es ein tolles Hobby.
Immer mehr versiegelte Flächen, häufiges Rasenmähen und Laubfegen nehmen den Insekten die Nistmöglichkeiten. Lesen Sie hier, wie sie einfach und schnell ein Insektenhotel als Nisthilfe für Wildbienen und andere Insekten bauen, die auch auf dem Balkon Platz findet.

© Dr. Bettina Ziegelmann
Zur Person: Seit 1994 ist Dr. Peter Rosenkranz Leiter der Landesanstalt für Bienenkunde an der Universität Hohenheim und arbeitet in zahlreichen nationalen und internationalen Bienenprojekten mit. Aufgewachsen ist Rosenkranz in Tübingen und hat dort Biologie studiert. Über einen Imkerkurs während seines Studiums ist er zur Imkerei gekommen. Seine Forschungsschwerpunkte sind die Bekämpfung der Varroamilbe, die chemische Kommunikation im Bienenvolk und Bienenpathologie.
Die Bienenfamilie:
Die Königin, auch Weisel genannt, entwickelt sich aus einer Bienenlarve, wenn diese mit besonderer Nahrung, dem Gelée royale, gefüttert wird. Sie ist größer als die Arbeitsbienen. Auf ihrem Hochzeitsflug paart sie sich mit den Drohnen und trägt dann genug Spermienvorrat in ihrer Samenblase für ein zwei bis fünf Jahre dauerndes Leben. Ihre Aufgaben sind die Eiablage und der Zusammenhalt des Volkes durch Absonderung spezieller Pheromone, die die Entwicklung der Eierstöcke der Arbeiterinnen hemmen.
Die Arbeiterinnen oder Arbeitsbienen sind, wie die Königin, weiblich, haben aber zurückgebildete Geschlechtsorgane. Sie kümmern sich um Nestpflege, -verteidigung, Brutpflege, Nahrungssuche und so weiter. Im Sommer leben sie etwa drei bis fünf Wochen, im Winter sieben bis acht Monate.
Die Drohnen: Die einzige Aufgabe der männlichen Bienen ist die Begattung einer jungen Königin. Im Moment der Begattung sterben sie. Im Herbst werden die verbliebenen Drohnen aus dem Stock vertrieben, weil sie nur unnötige Esser sind.